Symbiose

Der mächtige Körper des Ersten Warrt streckte sich wohlig unter der fremden Sonne. Die Warrt waren gerade dabei, ihre 23. Welt zu erobern – ein Paradies geradezu. Keine Schutzmasken, keine Thermoanzüge und massenhaft Grünzeug. Der Erste Warrt juckte sich in der Hautfalte zwischen zwei Hornplatten. Zwei Putzer huschten zur damit bezeichneten Stelle und begannen vorsichtig weiterzukratzen. Der Warrt knurrte zufrieden und stopfte sich ein Bündel Grünzeug zwischen die Mahlplatten. Es hatte Vorteile, Anführer der Invasionstruppen zu sein.

Im gebührenden Abstand hielt ein Boden-Shuttle. Der Dritte Warrt quetschte sich aus der Luke und kam vorsichtig näher. Selbst für einen Warrt war er ziemlich fett. Er wußte, daß es ihn ohne weiteres seine Schwanzspitze kosten konnte, wenn er den Ersten wütend machte. Natürlich hatte dieser ihn längst bemerkt, zog es aber vor, einfach weiterzudösen. Der Dritte machte nicht etwa den Fehler, ihn anzusprechen, sondern spielte nur beiläufig mit der Nachrichtentafel. Schließlich hielt es der Erste nicht mehr aus, blinzelte und grunzte: "Was ist denn, Dritter?"
"Also, Allererster, ich habe hier den Frontbericht vom erhabenen Zweiten. Er rechnet damit, daß der Widerstand auf dem Nordkontinent in vier lokalen Tagen gebrochen ist. Bis jetzt nur minimale Verluste. Außerdem habe ich einen detaillierten Bericht über die Verwendbarkeit des Gegners."
"Mach es kurz!"
"Keine Energiewaffen, keine Plasmafelder. Primitive Kernfusions-Technik, brauchbare Atmosphären- und Nahbereichs-Schiffe, Grundlagen der Nanotechnologie und Genmanipulation. Geschätzter Bedarf an Technik-Sklaven um 225, davon 7/8 in die Heimat, 1/8 lokal, momentane Population noch etwa 233."
"Und die Individuen?"
"Schwache Physis, schlechte chemische Resistenz, vertragen aber mäßige Atemgasschwankungen. Geburtenrate steuerbar, jedoch längere Aufzucht nötig. Etwa durchschnittliche Intelligenz."
"Na, dann frage ich mich, warum Zwei so lange braucht." Der Erste blinzelte böse.
"Vielleicht sollte ich ihm ein wenig über den Rücken schauen?", schleimte der Dritte Warrt.
"Ja. Sage ihm, daß er drei lokale Tage hat. Wegtreten."


* * *

Voller Abscheu betrachtete Foller den riesigen toten Körper. Der Gestank war beinahe unerträglich. Dies war der erste Aggressor, den überhaupt jemand zu Gesicht bekommen hatte. Man wußte fast nichts über sie – außer, daß sie lieber ihre kleinen Sklavenrassen für sich kämpfen ließen.

Foller zwang sich, näher zu treten. Sie hatten teuer genug für diesen Kadaver bezahlt – ohne zu wissen, ob sie überhaupt in der Lage waren, irgend einen Vorteil daraus zu ziehen. Die Leiche des Warrt war noch warm. Es würde eine Weile dauern, bis dieser Fleischberg ausgekühlt war. Dicke Hornplatten bedeckten den Körper, der wie eine groteske Kreuzung zwischen einem Schuppentier und einem Saurier wirkte. Wer hätte gedacht, daß es unter den Vegetarier so bestialische, hinterlistige Monster geben könnte? Voller Ekel beobachtete Foller, wie ein faustgroßer Parasit über eine Hornplatte kroch und versuchte, sich in einem Spalt festzusetzen und Blut zu saugen. Einfach widerlich! Was dann kam, war der makabere Höhepunkt: Ein etwa einen dreiviertel Meter langes Wesen, das einer plattgepreßten Spinne ähnelte, hangelte sich flink von Platte zu Platte und saugte seinerseits den Parasiten aus.

Widerwillig zückte Foller seine Waffe. Das Spinnentier krabbelte aus der Schußlinie. Foller versuchte es erneut ins Visier zu nehmen, aber wieder kroch es davon. Foller ließ die Waffe sinken und kratzte sich sein Stoppelkinn. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Schlagartig riß er den E-Revolver hoch, zielte jedoch deutlich daneben. Das Tier zuckte kurz, blieb aber sitzen. Langsam drehte er den Lauf auf das Wesen zu, und genauso langsam wich es seitlich aus, wobei es seltsame krächzende Geräusche von sich gab...


* * *

Das Team aus Biologen und Chemikern hatte in der kurzen Zeit buchstäblich gezaubert: Ein ganzer Halbliterbecher mit einer dicken, violettroten Flüssigkeit stand auf dem Tisch. Foller versuchte, so etwas wie eine einladende Geste hinzubekommen: "Bitte!" "Schkrzkrk!" krächzte der Lautsprecher des Notepads, als hätte er eine Fehlfunktion. Einer der Gäste näherte sich vorsichtig dem Glas. Jetzt würde sich entscheiden, ob es zu einer Vereinbarung kommen würde. Langsam schob sich der Panzer des Pseudoinsekts über das Gefäß, damit der tiefliegende Kopf an die Flüssigkeit reichen konnte. Das Wesen kostete, erst vorsichtig, dann etwas mutiger. Schließlich gab es ein kratziges "Szrkzk" von sich. "Blut.", übersetzte das Notepad. Die anderen Gäste krabbelten neugierig näher. Es sah ganz so aus, als wäre Follers Vorschlag akzeptiert worden.


* * *

Der Erste Warrt tobte! Der Dritte war schwerverletzt entkommen, vom Zweiten Warrt gab es keine Nachrichten. Einige verrückte Individuen dieser renitenten Spezies hatten sich den Zugang zu mehrere Reaktoren erkämpft und sich selbst in die Luft gejagt – zusammen mit etwa 213 Krieger-Sklaven und fünf Warrt! Weiterhin wurde ein Transportschiff mit einer Laserwaffe zerstört. Die Gefangenen in den eroberten Territorien leisteten permanenten Widerstand. Mehrere tausend Krieger-Sklaven weigerten sich, unter diesen Umständen den Bodenkampf fortzuführen. Verdammt noch mal, was sollte er denn tun? Wenn man einen Planeten erst völlig zerbomben mußte, war er absolut wertlos.

Vorsichtig näherte sich ein Niederrangiger und wisperte "Allererster, wir empfangen eine Transmission."
"Was ist?", blaffte der Erste.
"Allererster, wir empfangen eine optische Transmission vom Gegner."
"Na los, zeig sie mir!"
Der Niederrangige fingerte nervös an der Com-Tafel herum. Ein Hologramm flammte auf. Die Übertragungsqualität war schlecht, man hörte knackenden und knirschenden Hintergrundgeräusche. Das Bild war undeutlich und flackerte, aber der Erste Warrt sah es sofort: Ein Gegner stand vor der Leiche des Zweiten! Nur mühsam konnte sich der Erste beherrschen. Als der Gegner zu sprechen begann, kam die nächste Überraschung: Die Rede wurde in die heilige Sprache der Warrt übersetzt. Wie hatten sie das nun schon wieder gelernt?
"Erster! Ihr habt unseren Planeten grundlos überfallen und unsere Bewohner getötet. Wie du siehst, haben wir uns erfolgreich gewehrt. Wenn du mit deinen Truppen nicht sofort abziehst, zwingst du uns, die Warrt zu vernichten. Wenn du denkst, wir hätten dazu nicht die Möglichkeit, begehst du einen schweren Fehler. Ich erwarte deine Antwort innerhalb der nächsten Stunde."

Der Erste explodierte förmlich. Schnell brachte sich der Niederrangige in Sicherheit, gerade noch rechtzeitig. In seiner Wut schlug der Erste blind um sich, sogar die Panzerung seines Shuttles bekam eine Delle verpaßt. Verzweifelt krallten sich die Putzer an seine Hornplatten, um nicht weggeschleudert und zertreten zu werden. Während der ganzen Zeit stieß der Erste wilde Flüche und Drohungen aus – und das war eines der wenigen Dinge, die Warrt wirklich perfekt beherrschten. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.

Schließlich rief er den Niederrangigen zu sich und befahl, seine Antwort aufzunehmen.

Er stellte sich in die typische breitbeinige Imponier-Pose der Warrt und fauchte: "Ihr dreckigen, unnützen Mißgeburten! Denkt ihr, ihr könnt mir drohen? Denkt ihr, ihr könnt mal eben ungestraft ein paar Warrt töten? Ich sage euch, was ich jetzt tun werde: Ich werde euren ganzen verpesteten Planeten in Stücke sprengen! Eher opfere ich einen Welt, als mich von Geschmeiß wie euch verhöhnen zu lassen. Das einzige, was eure schmierigen Kadaver jetzt noch retten kann, ist die Beendigung jeglichen Widerstands und sofortige Kapitulation. Auf Sklaven wie euch kann ich ohne weiteres verzichten, also überlegt genau, was ihr tut."

Der Erste sah sich die Aufnahme noch einmal an, bevor er sie senden ließ. Sehr überzeugend. Langsam stellte sich wieder das gewohnte Gefühl arroganter Selbstsicherheit ein. Er begann sich ausgiebig zu kratzen. Dienstbeflissen unterstützen ihn seine Putzer dabei. Ja, genau da! Gut so! Der Erste entspannte sich. Warum hatte er sich bloß von ein paar stinkenden Sklaven derart aus der Ruhe bringen lassen? Schließlich war er der Anführer der Invasionstruppen und hatte schon fünf Systeme erobert. Pah, die Warrt vernichten! Die hohlen Drohungen dieses Bastards amüsierten ihn inzwischen fast ein wenig.

Lässig winkte er den Niederrangigen herbei. "Alle Truppen sollen sich zur Evakuierung bereithalten. Laß eine kleine Antimaterie-Bombe scharfmachen. Wollen doch mal sehen, wie das unseren widerborstigen Freunden gefällt."

Der Niederrangige war völlig perplex. Antimaterie war kostbar und die Planetenoberfläche nach deren Einsatz völlig verwüstet. Diese Bomben wurden normalerweise nur im absoluten Notfall eingesetzt. Trotzdem war er nicht so dumm, den Befehl in Frage zu stellen.
"Was ist, Zweiter? Hörst du schlecht?", bellte der Erste Warrt.
Die Beförderung zerstreute alle Bedenken und der frischgebackene Zweite wetzte los.


* * *

Die Com-Tafel blinkte. Der Erste schaltet sie ein. Das Bild zeigte wieder diesen Sklaven. Der Erste Warrt funkelte ihn an. Würden sie kapitulieren? Immer noch schwieg Foller. "Mach es nicht so spannend!", murmelte der Erste. Foller holte tief Luft, als müsse er sich zu etwas überwinden. Dann sagte er "Szrkzk!". Die Aufnahme verblaßte.

Während der Erste noch überlegte, was das nun wieder bedeuten sollte, positionierten sich die Putzer. Einer von ihnen zirpte "Szrkzk!" Das war das Signal! Scharfe Krallen hieben sich durch ledrige Haut. Aus verletzten Arterien spritzte Blut. Der Erste schrie, schlug um sich, aber ehe er irgend etwas erreichen konnte, wurde er ohnmächtig.

Einer der Putzer ließ sich vom leblosen Körper des Ersten fallen und krabbelte zu Com-Tafel. Er hatte den Warrt schon oft bei der Bedienung zugesehen. Seine Krallen tasteten geschickt über die Schaltpunkte. Er öffnete den Notkanal.

Dann sprach er zu denen, die auf den anderen Warrt lebten. Er sprach davon, wie wenig es die Warrt kümmerte, wenn sie einen Putzer zerdrückten oder zertraten. Daß die Warrt alte Putzer, die ihnen zu langsam waren, einfach wegwarfen und verhungern ließen. Er erinnerte daran, wieviele Putzer unter den Schutzanzügen nicht überlebt hatten. Und wieviel Leid andere Wesen durch die Warrt zu erdulden hatten.

Er berichtete, wie sie den Ersten getötet hatten. Dann sprach er von den neuen Freunden, die Warrt-Blut herstellen konnten. Er wiederholte den Wortlaut der Vereinbarung.

Währenddessen versuchten die Warrt-Soldaten festzustellen, was es wohl mit diesem komischen Notsignal auf sich hatte. Sie erkannten nicht, daß das Zirpen und Krächzen keine Störung war. Sie schöpften auch keinen Verdacht, als sich ihre Putzer gemächlich von Platte zu Platte hangelten.



Der Putzer sprach davon, daß es nun Zeit wäre, die Symbiose zu beenden.