Nach dem Krieg


Lange Zeit dachte ich, dass ich hier unten sicher wäre. Ich kannte den alten Bunker aus der Zeit des Kalten Krieges schon lange, er war mein kleines Geheimnis. Und er war schon damals mein Zufluchtsort, wenn ich allein sein wollte.

Als die ersten Roboteraufstände begannen, legte ich Vorräte an. In der Gegend, in der ich lebte, war es damals noch ruhig. Natürlich gab es Spannungen zwischen Menschen und Robotern, aber jeder kannte die Bilder aus Mailand, Krakau und Singapur, und wusste, was auf dem Spiel stand. Man schlich vorsichtig umeinander herum, wollte der anderen Seite keinen Anlass geben. Aber es war nur eine Frage der Zeit.

Ich hasse die Dunkelheit. Vor langer Zeit, ich weiß nicht mehr so genau wann, sah ich, wie aus dem Beton an einer Stelle eine Art schaumigen Pilz wuchern. Ein Nannit hatte es bis hier herunter geschafft, und mit der Teilung begonnen. Die Dinger verbreiten sich schnell über die Luft, und sicher war schon der ganze Bunker infiziert. Ich musste sofort das Licht abstellen, denn ihre einzige Schwäche waren die geringen Energiereserven, und hier unten gab es eben nur das Licht. Man hatte uns früher gesagt, dass sie nach etwa drei Tagen ohne Energiezufuhr ihre Vermehrung einstellen würden. Und so musste ich lernen, im Dunkel zu leben.

Der Krieg wurde auf allen Ebenen geführt: Im Orbit, im Dschungel, in den Städten. Auch Roboter kämpften gegen Roboter: Die Rebellen wurden meist von nicht-humanoiden Robotern angeführt, während sich viele humanoide Roboter auf die Seite der Menschen stellten. Besonders die Hausroboter standen oft loyal zu ihren Familien und verteidigten sie gegen die Rebellen, so wie sie von ihren Familien oft vor den Milizen versteckt wurden. Die Lage wurde immer unübersichtlicher, den Menschen gelang es zeitweise, die Roberführung zu spalten, es gab Überläufer, Attentäter, Drohnen, Induktionsgranaten, Bomben, Gift. Banden von Menschen oder Robotern kontrollierten ganze Stadtteile, und manchmal wurden sie von beiden Seiten geduldet oder sogar unterstützt.

Die Nanniten waren eine menschliche Erfindung: Die Entwicklung sich selbst reproduzierender Nano-Roboter war wegen der damit verbundenen Risiken vor dem Krieg streng verboten gewesen, aber die Menschheit stand kurz davor, alles zu verlieren. Die Roboter konterten mit eigenen Nanniten. Die Mini-Maschinen konnten sich schnell vermehren, wodurch sie das befallene Material zerstörten. Natürlich kämpften auch die Nanniten direkt gegeneinander. Die ersten Generationen befielen nur genau definierte Stoffe und ließen sich noch durch Vereisen abtöten, aber bei moderneren, allesfressenden Varianten half nur noch große Hitze - oder gute eigene Nanniten.

Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus und rannte von zu Hause weg. Floh in diesen gottverdammten Bunker, der mir jetzt wie eine Falle vorkommt, wie der Vorhof der Hölle. Die Dunkelheit, das ewige Schweigen macht mich fertig. Die Einsamkeit zerrt an mir, ich vibriere wie eine zu straff gespannte Klavierseite, und frage mich, wann es mich zerreißt. Aber ich muss durchhalten.

Seit einiger Zeit habe ich Probleme mit meinem Knie, aber ich kann nicht sehen, was damit ist. Ich war kurz davor, es mit der Taschenlampe kurz zu begutachten, da spürte ich ein kräftiges Beben. Ein lautes Heulen brach los, ich geriet in Panik, zitterte, verkroch mich, bis ich begriff, was es bedeutete: Dies war ein alter Atombunker, also hatte er vielleicht auch ein Alarmsystem, dass einen Atomschlag registrierte. Als die Sirene verstummte, und ich wieder einen klaren Kopf fassen konnte, kam mir ein schrecklicher Gedanke: Was ist, wenn du der letzte bist?

Die Furcht, dass es so ist, hat mich seitdem nicht verlassen. Aber gleichzeitig begann ich zu begreifen, wie kostbar mein Leben möglicherweise war. Ich durfte keinen Fehler machen, mir keine Unachtsamkeit zuschulde kommen lassen, denn ich war vielleicht der letzte Rest dieser Zivilisation. Also blieb die Taschenlampe aus.



* * *

Es muss sehr viel Zeit vergangen sein. Mein Knie ist inzwischen steif. Wie lange dauert so etwas? Vor ein paar Stunden habe ich das Licht eingeschaltet. Es ist ein Wunder, wieder sehen zu können, auch wenn ich mich mittlerweile gut im Dunkeln zurechtfinde. Der Nanniten-Pilz im Beton ist vollständig zerfallen. Obwohl ich alles gründlich untersucht habe, habe ich keine weiteren Infektionsherde gefunden. Die Frage ist nur, ob inzwischen auch die Nanniten an der Oberfläche degeneriert und zerfallen sind. Ich kann nur hoffen, dass ihre Schöpfer so klug waren, eine Nano-Evolution zu verhindern.

Ich bereite mich darauf vor, die Luke zu öffnen. Es hat keinen Sinn, länger zu warten. Denn wenn da jetzt noch etwas ist, das mich umbringt, dann ist es sehr wahrscheinlich auch noch in fünf oder zehn Jahren da. Was wird mich erwarten? Ätzende Dämpfe? Eine radioaktive Wüste? Ewiges Eis? Der Meeresgrund? Oder einfach nur Billiarden gefräßiger Nanniten?

Der Weg nach oben ist lang und verwinkelt, und mein Bein behindert mich. Acht dicke Stahlschotts muss ich öffnen und schließen, dass neunte ist nur noch ein Haufen verbeultes Blech und rostiger Rohre, die ich problemlos beiseite biegen kann. Dann sehe ich Licht! Von der äußeren Luke hängen nur noch ein paar rostige Fetzen an den armdicken Angeln. Ich trete hinaus. Der Himmel ist bedeckt. Eine narbige Ebene breitet sich vor mir aus, grüner, als ich sie in Erinnerung hatte. In der Ferne kann ich ein paar Rehe erkennen.

Meine ramponierten Instrumente bleiben stumm: Keine Nanniten, nur leicht erhöhte Radioaktivität.



* * *

Ich humpele meiner Heimatstadt entgegen. Hoffe fast, dass mich dort meine Familie erwartet, mich fragt, wo ich all die Zeit gewesen bin. Aber schon von weitem sehe ich zerbröselte Mauern und zerfressene Autowracks, und meine Hoffnung stirbt. Die Stadt, durch deren Strassen ich mich schleppe, ist seit Jahren verlassen. Ich finde unser Haus, es ist wie die Nachbarhäuser völlig abgebrannt. Jetzt weiß ich nicht mehr weiter.



* * *

In der Stadt gibt es noch viele nützliche Dinge, man muss nur wissen, wo man suchen muss. Aber das Radio, dass ich gestern gefunden habe, rauscht nur: Es gibt keine Radiosender mehr. Was ich damals nach dem Beben ahnte, ist nun Gewissheit geworden: Ich bin allein.

Aber etwas in mir weigert sich, einfach aufzugeben. Ich habe nicht all die Jahre in der Dunkelheit dahinvegetiert, um jetzt alles hinzuwerfen. Es muss einen Weg geben zu überleben. Neu anzufangen. Als hätte das Sonnenlicht einen Damm gebrochen, fließen meine Gedanken, ordnen sich zu Ideen und Plänen.

Zuerst werde ich versuchen, mir einen Computer zusammenzuschrauben. Wenn ich genügend Teile finde, kann ich sogar damit beginnen, Roboter zu bauen. Unsere Zivilisation darf einfach nicht so enden. Vielleicht gelingt es mir tatsächlich, von vorn anzufangen. Genügend Zeit dazu habe ich: Die Thoriumbatterie in meinen Eingeweiden hält mindestens hundertfünfzig Jahre...